Hamburg
Süße Spitzenforschung auch in Hamburg
Von Angela Grosse, Hamburger Abendblatt, erschienen am 7. September 2007
Hamburg ist international einer der Leuchttürme der Glycowissenschaften. Gemeinsam erforschen Chemiker, Biologen, Mediziner und Physiker die Rätsel der Zuckerwelt - und davon gibt es auch nach 60 Jahren wissenschaftlicher Arbeit immer noch viele.
Zucker ist unverzichtbar - zumindest im menschlichen Körper. Denn er liefert Energie, dient als Baumaterial für das Bindegewebe, organisiert das Immunsystem und fördert den Aufbau von Organen.
Zugleich nutzen jedoch Viren, Bakterien und Parasiten die Zuckerverbindungen, um in unseren Körper einzudringen. Auch gefährliche Krebszellen tarnen sich mit ihnen. "So klaut sich der Parasit Trypanosoma cruzi, der in Südamerika die gefährliche Chagas-Krankheit auslöst, ein Zuckermolekül von der Zelloberfläche. Derart getarnt kann er sich, vom Abwehrsystem unerkannt, im Körper vermehren", erzählt Prof. Joachim Thiem.
Der Chemiker leitet an der Uni Hamburg den Sonderforschungsbereich "Glycostrukturen in Biosystemen". Trypanosoma cruzi nutzt für seine Maskerade ein Enzym, die Transialidase. "Dieses Glycoprotein setzen wir Chemiker wiederum für die Synthese von Zuckern ein", erläutert Thiem, der mit mehr als 400 Arbeiten in namhaften Wissenschaftsmagazinen international zu den Spitzenforschern zählt.
Noch sei es sehr aufwendig, zwei einzelne Zuckerbausteine chemisch zusammenzufügen. "Die Synthese erfordert bestenfalls zehn Schritte. Die meisten biorelevanten Moleküle sind viel länger und komplexer aufgebaut. Daher erfordert deren Herstellung viel mehr Schritte. Wenn es uns gelingt, dies mithilfe von chemoenzymatischen Reaktionen zu verbessern, dann wäre das ein großer Fortschritt in den Bio- und Materialwissenschaften."
Zugleich leisten die Wissenschaftler damit einen Beitrag zur Gesundheitsforschung. Kennen sie die Struktur und die Wirkweise eines Enzyms, dann können sie es möglicherweise auch gezielt blockieren. "Weltweit arbeiten etwa 800 Forscher auf dem Gebiet der Glycowissenschaften", so Thiem, der selber zu den Pionieren dieser Forschungsdisziplin zählt. Dank der exzellenten Ausstattung können die Wissenschaftler des Sonderforschungsbereichs (SFB) 470, der noch bis Mitte 2009 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert werden wird, im internationalen Wettbewerb mithalten.
Im Forschungsbereich kooperieren drei Forschungsgruppen aus der Chemie, vier aus der Medizin, eine aus der Biologie und eine Gruppe vom Bernhard-Nocht-Institut sowie fünf Forschergruppen vom Forschungszentrum Borstel.
Thiem hofft, dass die weltweite Spitzenstellung auch über das Jahr 2009 erhalten bleibt. Dann können die Hamburger Forscher noch viel dazu beitragen, die Zuckerwelt zu ergründen und so die Gesundheits-, Material-, Energie- und Umweltforschung zu beflügeln.