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Harald zur Hausen

Interview

Der 5. Dezember 2006 war der Tag, an dem endlich auch in Deutschland die Arbeit des Pioniers der medizinischen Virologie, Professor Harald zur Hausen, Früchte trug. Mehr als 30 Jahre hatte er auf diesen Tag hingearbeitet, viele Rückschläge einstecken müssen. Endlich beschloss die auch „Ständige Impfkommission", kurz Stiko, dass in Deutschland die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs von den Krankenkassen bezahlt wird. „Die Stiko hastete dabei der internationalen Entwicklung hinterher", urteilt zur Hausen. Der hatte schon 1976 eine Arbeit publiziert, in der er den Hautwarzen (Humanen Papilloma-Viren) die entscheidende Rolle bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs zuwies. Damals schüttelten viele den Kopf. „Ich galt als exzentrisch", kommentiert er und schildert, wie er 1987 auf  einem Kongress auf den Vater der Schluckimpfung gegen Kinderlähmung, Albert Sabin, traf. „Als unumstößliche Meinung verkündete er, dass Viren und Krebs nichts miteinander zu tun haben", erinnert sich zur Hausen, der in seinem nachfolgenden Vortrag allerdings unmissverständlich klar machte, dass er irre. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass Viren Krebs auslösen können. Das ist sein Verdienst. Es schmerzt zur Hausen aber, dass alles so langsam ging. „Wir haben aber viele Jahre im Kampf gegen diesen Krebs, an dem weltweit jährlich 230000 Frauen sterben, in Deutschland immerhin 1800 Frauen, verschenkt", stellt der weißhaarige Forscher fest, der nichts unversucht gelassen hatte, um schon in den 1980er Jahren die Pharmakonzerne davon zu überzeugen, einen Impfstoff herzustellen. „Nachdem meine Arbeitsgruppe 1983 den Zusammenhang zwischen Gebärmutterhalskrebs und Humanen Papilloma-Viren gezeigt hatte, waren die Grundlagen doch geschaffen." Doch die Industrie lehnte ab, ein Impfstoff würde sich nicht rechnen. So scheiterte der frühe Versuch, doch der geniale Wissenschaftler ließ nicht locker.

Diesen Dickschädel hat er wohl von seinem Vater, einem Westfalen geerbt. 1936 wurde zur Hausen in Gelsenkirchen geboren. Und  während die anderen Kinder Fußball spielten, lernte der junge zur Hausen alle Vogelnamen auf Lateinisch, vertiefte sich die Lebensgeschichte von Forschern. Besonders die Biografie von Robert Koch, dem Entdecker der Erreger von Tuberkulose und Milzbrand, hatte es dem Elfjährigen angetan. Er sei fasziniert gewesen von den Tricks der Viren, die die Mediziner in den 1920er Jahren bei der Erforschung der sogenannten Bakteriophagen herausgefunden hatten. Diese Viren infizieren nur Bakterien, und zwingen sie, indem sie ihr Erbgut in das der Bakterien einschleusten, sie zu vermehren. Diese faszinierenden Partikel wollte er erforschen. „Es war für mich unvorstellbar, etwas anderes zu werden", sagt zur Hausen rückblickend. Dabei habe seine Mutter sich sehr gewünscht, dass er Lehrer werden solle. „Doch das kam gar nicht in Frage. Ich wollte wissen, ob Krebs auch von Viren ausgelöst werden kann."

Harald zu Hausen studierte Medizin – „der Mensch interessierte mich dann doch mehr als die reine Biologie" – in Bonn, Hamburg und Düsseldorf. 1966 wechselte zur Hausen, inzwischen promoviert, an das Kinderkrankenhaus in Philadelphia, wo er mit Werner (1910-1987) und Gertrud (1912-2006) Henle zusammenarbeitete. Zwei Jahre später war er dort Assistant-Professor, lernte mit dem Epstein-Barr-Virus zu arbeiten. Dieses Virus war mit Hilfe der Elektronenmikroskopie zum ersten Mal in Blutkrebszellen entdeckt worden. 

Die Arbeit mit diesem außergewöhnlichen Forscherehepaar, das getrost als Pionier auf dem Gebiet der medizinischen Virologie und Immunbiologie  bezeichnet werden darf, prägte den Nachwuchswissenschaftler zur Hausen. Gertrud Henle, die als eine der ersten Frauen in die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA berufen wurde, und Werner Henle entdeckten grundlegenden Mechanismen von Virusinfektionen auf. Zugleich stand ihre Arbeit unter dem Leitgedanken „von der Petrischale zur Anwendung". Das praktisch veranlagte Team nutzte seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, um neue Methoden für die Diagnostik und Therapie von Virusinfektionen zu entwickeln.  Diese Einstellung prägt auch das Werk von Harald zur Hausen, der 1969 nach Deutschland zurück kehrte. Über Würzburg, Erlangen (1972-1977), Freiburg (1977-1983) landete er schließlich am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Dort übernahm 1983 die Position des wissenschaftlichen Direktors. Für den leidenschaftlichen Forscher begann ein Doppelleben: Als Forscher und als Wissenschaftsmanager. Und er war äußerst erfolgreich, bewältigte die hohen Anforderungen scheinbar mühelos. „Ich bin ein notorischer Frühaufsteher. Mein Tag begann meist um fünf Uhr morgens", sagt zur Hausen. Nachts hingegen habe er nie gearbeitet, schließlich hätte er ja auch Zeit für seine Familie gebraucht. Aus seiner ersten Ehe hat er drei erwachsene Söhne, auf die er äußerst stolz ist. 20 Jahre stand er an der Spitze des DKFZ, das unter seiner Ägide zu einem der weltweit führenden Krebsforschungszentren wurde. Dafür krempelte er das einst als „Herberge für Mäusedoktoren" verspottete Forschungszentrum grundlegend um.  Zugleich wurde zur Hausen, der Vizepräsident der Akademie der Naturforscher Leopoldina ist, für seine wissenschaftlichen Arbeiten wie kaum ein zweiter Forscher seiner Generation mit wissenschaftlichen Auszeichnungen bedacht. So erhielt er beispielsweise den Robert Koch-Preis (1975), den Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstädter-Preis (1994), den Emil-von-Behring Preis (1994), den Ernst Jung-Preis (1996); wurde mit den Ehrendoktorwürden der Universitäten von Chicago (USA), Umea (Schweden), Prag (Tschechien), Salford (England), Helsinki (Finnland) und Erlangen-Nürnberg ausgezeichnet. Dabei gefällt dem eher nüchternen, analytischen Wissenschaftler all der Rummel um seine Person, den nicht nur diese Preisverleihungen auslösten, bis heute nicht besonders.

Gleichwohl mischte er sich entschlossen in die wissenschaftspolitischen Debatten um Forschungsstrukturen ein. Bis heute kann der sonst so freundliche und zurückhaltende Wissenschaftler, dessen einziger Sport die Gartenarbeit ist, richtig heftig werden, wenn er die Defizite der Krebsforschung in Deutschland auflistet.  „Wir könnten viel mehr erreichen, wenn wir zusammenlegen würden, was zusammen gehört", lautet sein Plädoyer. „Wir brauchen einige wenige Zentren zu speziellen Krebsformen, in denen Forschung und klinische Arbeit integriert sind und wo interdisziplinär gearbeitet wird. Die National Institutes of Health in den USA sind ein gutes Vorbild." Und obwohl er am 11. März 2003 als Direktor des DKFZ verabschiedet wurde, blieb zur Hausen der Forschung treu. Bis heute geht der Wissenschaftler, der seinen Beruf als Berufung lebt, jeden Tag ins Labor, so er nicht internationale Kongresse besucht oder mit seiner zweiten Frau, einer Südafrikanerin, in ihre Heimat reist.  „Südafrika fasziniert mich", sagt zur Hausen und seine Augen leuchten. In seiner Freizeit beschäftigt sich der wahrlich vielseitige Forscher, der sich bei klassischer Musik entspannt und Anna Netrebko bewundert,  mit der Geschichte der Religionen. „Sehen sie, die Schöpfungsgeschichte und auch die Evolutionstheorie beruhen auf den Informationen, auf dem Wissen, das zu dem Zeitpunkt vorhanden war."

Es ist nicht schwer zu erraten, dass er sich wohl vorstellen kann, dass die Menschen die Welt noch mit ganz anderen Augen wahrnehmen könnten.

Angela Grosse, Hamburg December 2007

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